Bindung ist mit einem emotionalen Band vergleichbar, das ein Kind mit einer oder mehreren Bezugspersonen verbindet. Insbesondere in den ersten Lebensjahren sind Kinder darauf angewiesen, dass ihre Bezugspersonen ihre Signale, Wünsche und Bedürfnisse wahrnehmen, ernstnehmen und beantworten. Das setzt voraus, dass die Bezugspersonen besonders in emotional belastenden Situationen verfügbar sind und sich das Kind auf sie verlassen kann. Dies ist die Voraussetzung für eine gesunde seelische Entwicklung des Kindes.
Neben dem Bindungsbedürfnis des Kindes gibt es das Bedürfnis der Exploration, der Erkundung der Umwelt. Unbekanntes kennenzulernen ist die Voraussetzung für motorische, kognitive und soziale Entwicklung. [1]
Die Theorie über die Bindung von Menschen hat ihre Wurzeln in den Erkenntnissen des englischen Psychiaters John Bowlby (1907–1990), der sich mit den grundlegenden Bedürfnissen von Kindern beschäftigt hat. Demnach ist das zentrale Grundbedürfnis eines Säuglings, Schutz und eine enge Bindung zu erleben, die ihm nicht nur das Überleben, sondern auch eine gesunde Entwicklung ermöglichen. Bindung bedeutet also in diesem Fall die exklusive Beziehung zwischen den Eltern und ihrem Kind. Die engsten Bezugspersonen, in der Regel die Eltern, stellen körperlichen und emotionalen Schutz und Versorgung zur Verfügung.
Später hat Mary Ainsworth (1979) Bindung als ein lebenslanges Grundbedürfnis von Menschen beschrieben, das jedoch durch die sozialen Erfahrungen in der Kindheit so stark geprägt wird, dass es das Bindungsverhalten über die gesamte Lebensspanne beeinflusst. Eine sichere Bindung in der Kindheit ist also eine wichtige Voraussetzung für eine gesunde körperliche, seelische, geistige und soziale Entwicklung.[2]
Bindung und Entwicklung
Innerhalb der ersten sechs Lebensmonate können Säuglinge zunehmend besser zwischen unterschiedlichen Interaktionspartnern unterscheiden und reagieren dann z.B. auf die Mutter und den Vater anders als auf fremde Personen. Erst im Laufe des ersten Lebensjahres beginnen sie dann, personenspezifische Bindungen aufzubauen. Insbesondere ab dem Zeitpunkt, wenn sie anfangen zu Krabbeln und zu Laufen, wird die primäre Bezugsperson immer bedeutsamer. Die Bindung zu verschiedenen Personen kann nun immer deutlicher unterschieden werden.
Erst ab dem dritten Lebensjahr kann sich das Kind als eigenständige Person wahrnehmen und sich sprachlich ausdrücken. Jetzt erst beginnt es zu verstehen, dass die Eltern eigene, von ihm unabhängige Ziele und Wünsche haben können. Es versteht nun auch, dass das Essen noch 10 Minuten braucht, bis es gar ist, das Kind jedoch keine Sorge haben muss, zu verhungern.[3]
Bindungsmuster werden von einer Generation zur nächsten weitergegeben.
Eltern greifen also bewusst und unbewusst auf ihre eigenen kindlichen Erfahrungen zurück und darauf, wie sich ihre Eltern ihnen gegenüber verhalten haben. Diese Erfahrungen sind sehr tief als „So-verhält-man-sich-seinem-Kind-gegenüber-Wissen“ gespeichert.
Über die ganze Welt verteilt kann man unterschiedliche Bindungsstile erkennen und beschreiben. Es wird unterschieden zwischen
- sicher gebunden
- unsicher-vermeidend
- unsicher-ambivalent
- desorganisiert[4]
Langzeitwirkung von Bindung
Emotionale Sicherheit und sichere Bindungserfahrungen insgesamt sind nicht nur in der Kindheit bedeutsam, sondern wirken sich auf das ganze Leben aus. Sicher gebundene Kinder, die ein feinfühliges Verhalten ihrer Bezugspersonen erlebt haben, sind später psychisch ausgeglichener und sozial kompetenter. Sie entwickeln selbst ein konstruktives und positives Arbeitsmodell von Bindung, das dazu führt, dass sie sich ihrerseits Kindern gegenüber förderlich verhalten und eine sichere Bindung begünstigen können. Diese Kinder lernen, dass es in Ordnung ist, Emotionen angemessen auszudrücken, dass emotionale Kommunikation wichtig ist und dass sie Unterstützungen bei anderen Menschen suchen dürfen. Sie zeigen engere und harmonischere Beziehungen zu Gleichaltrigen, sind weniger ängstlich, weniger zurückgezogen und zeigen die Bereitschaft zu teilen und Anteil zu nehmen. Über die Wirkung späterer Bindungserfahrungen nach Abschluss der frühkindlichen Phase auf das Bindungsverhalten des Kindes, gibt es unterschiedliche Studienergebnisse. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das tatsächliche Bindungsverhalten eines Menschen sowohl durch die frühkindlichen Erfahrungen als auch durch die Bindungserfahrungen zu einem späteren Zeitpunkt beeinflusst wird.[5]
[1] Vgl. Nowacki, Katja; Remiorz, Silke (2018): Bindung bei Pflegekindern. Bedeutung, Entwicklung und Förderung. Stuttgart: Kohlhammer, S. 73f.
[2]Vgl. Nowacki, Katja; Remiorz, Silke (2018): Bindung bei Pflegekindern. Bedeutung, Entwicklung und Förderung. Stuttgart: Kohlhammer, S. 66.
[3] Vgl. Ebd., S. 73f.
[4] Vgl. Retz, Eliane; Bongertz, Chistiane Stella (2021): Wild child. Entwicklung verstehen, Kleinkinder gelassen erziehen, Konflikte liebevoll lösen. München: Piper, S. 53.
[5] Vgl. Siegler, Robert; Eisenberg, Nancy; DeLoache, Judy; Saffran, Jenny (2016): Entwicklungspsychologie im Kindes- und Jugendalter. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag. à S. 405 – 408.