Feinfühligkeit der Bezugsperson ist der Schlüssel zu emotionaler Sicherheit des Kindes. Eine zeitnahe Reaktion ist umso wichtiger, je jünger das Kind ist. Erfolgt eine Reaktion zu spät, kann das Kind sie nicht mehr mit dem geäußerten Bedürfnis in Zusammenhang bringen und erlebt dementsprechend keine Selbstwirksamkeit. Studien zeigen, dass für die Entwicklung eines sicheren Bindungsverhaltens insbesondere die feinfühlige Reaktion auf kindlichen Stress bedeutsam ist. Besonders wichtig für den Bindungsaufbau ist die Feinfühligkeit der Bindungsperson. Das bedeutet, die Signale, die das Kind sendet wahrzunehmen, richtig zu interpretieren und darauf prompt und angemessen (im Hinblick auf den Entwicklungsstand des Kindes und die Situation) zu reagieren.[1]

Feinfühligkeit und Bindungsverhalten

Mary D. S. Ainsworth, die Begründerin der Theorie der Feinfühligkeit geht davon aus, dass die Mutter durch das Verhalten des Säuglings (z.B. Weinen oder Lachen) eine Rückmeldung bekommt, ob ihr Verhalten die gewünschte Wirkung erzielt hat. Das gelingt aber natürlich nur, wenn die Mutter präsent ist und ihre Aufmerksamkeit auf das Kind richtet.[2] Studien belegen, dass Kinder zunehmend weniger weinen, und stattdessen mehr Mimik zur Kommunikation verwenden, wenn ihre Mütter prompt und angemessen auf ihre Signale reagieren. Sie entwickeln auf diese Weise soziale Kompetenz.

Die Feinfühligkeit der Mutter bestärkt das Kind dementsprechend vor allem auf der Seite des Bindungsverhaltens. Die Feinfühligkeit der Mutter ermöglicht, dass das Kind sie als sichere Basis empfinden kann. Die Sorge mancher Eltern, es könne ein Zuviel an Feinfühligkeit geben und das Kind dadurch zu Unselbständigkeit erzogen werden, ist unbegründet. Entscheidend ist bei feinfühligem Verhalten die Angemessenheit der Reaktion: Feinfühligkeit unterscheidet sich von Überbehütung dadurch, dass ein feinfühliges Verhalten auf die Signale des Kindes angemessen reagiert. Überbehütung würde bedeuten, ohne Signal des Kindes zu handeln oder aber zu überreagieren. Kinder, die einen Mangel an Feinfühligkeit erlebt haben, zeigen sich später oft unkooperativ und fordernd.[3]

Feinfühligkeit und Explorationsverhalten

Häufig ergänzt der Vater die Mutter in der Form, als dass er das Kind auf der Seite des Explorationsverhaltens stärkt. Er kann für das Kind ein ermutigender unterstützender Begleiter sein, indem er auf Anweisungen des Kindes zuverlässig reagiert und ihm als ebenbürtiger Spielpartner begegnet. Man spricht deshalb auch von „Spielfeinfühligkeit“. Wenn es der Bezugsperson gelingt, dem Kind als ebenbürtiger Spielpartner zu begegnen und es zu ermutigen, zeigt sich das Kind kooperativ und reagiert seinerseits zuverlässig auf das Verhalten der Bindungsperson.

Angemessenes und feinfühliges Verhalten im Zusammenhang mit dem Explorationsverhalten des Kindes zeigt sich daran, dass sich das Kind über seine Erfolge freuen und sie sich selbst zuschreiben kann (unabhängig davon, wieviel die erwachsene Person tatsächlich beigetragen hat).[4]

[1] Vgl. Nowacki, Katja; Remiorz, Silke (2018): Bindung bei Pflegekindern. Bedeutung, Entwicklung und Förderung. Stuttgart: Kohlhammer. à S. 68.

[2] Vgl. Marschewski, Susanne (2012): Bedeutung der Bindungsrepräsentation von Pflegeeltern für ein gelingendes Pflegeverhältnis. In: Nowacki, Katja (Hrsg.): Pflegekinder. Vorerfahrungen, Vermittlungsansätze und Konsequenzen. Freiburg: Centaurusverlag & Medien KG, S. 187 – 248. à S. 200f.

[3] Vgl. Nowacki, Katja; Remiorz, Silke (2018): Bindung bei Pflegekindern. Bedeutung, Entwicklung und Förderung. Stuttgart: Kohlhammer, S. 69f.

[4] Vgl. Nowacki, Katja; Remiorz, Silke (2018): Bindung bei Pflegekindern. Bedeutung, Entwicklung und Förderung. Stuttgart: Kohlhammer, S. 68.