Geschwisterbeziehungen sind mit der ganzen Bandbreite von Gefühlen verbunden, die ein Kind im Laufe seines Aufwachsens erfährt und mit denen es umzugehen lernt. Untereinander lernen Geschwister voneinander und stabilisieren sich gegenseitig – bei gleichzeitig stetigem Wandel der Positionen und Rollen im Familiengeschehen. Aus systemischer Sicht werden Geschwisterbeziehungen elterlich gesteuert. Die Wirkung der Eltern auf die Geschwisterbeziehung kann z. B. ausgleichend, einseitig, autoritär oder konfliktauslösend sein.

Während ein Kind aus bindungstheoretischer Sicht im ersten Lebensjahr eine Hierarchie von Bezugspersonen ausbildet, die es versorgen können, nehmen im Laufe der Kindheit Nebenbindungen bzw. sekundäre Bezugspersonen zu. Insbesondere in Extremsituationen erfolgt auch unter sehr jungen Kindern eine intensive Bindung, die unabhängig von den Eltern besteht. So rücken z. B. Geschwister bei der Trennung der Eltern enger zusammen. Das Aufwachsen in Geschwisterbeziehung kann dementsprechend sowohl sehr positive als auch stark negative Auswirkungen haben:

Positiv:

  • Stärkung von Achtung und Vertrauen
  • Entwicklung Kooperations- und Konfliktlösungsstrategie
  • Erfahrung von Anregung und Nachahmung
  • Lernen von Selbstbehauptung und Nachgeben
  • Stärkung von Sicherheit und Vertrauen
  • Unterstützung der Identitätsfindung

Negativ:

  • Rivalität durch unterschiedliche emotionale Fertigkeiten
  • Rivalität durch unterschiedliche kognitive Fähigkeiten
  • Rivalität aufgrund körperlicher Unterschiede
  • Erfahrung von Unterdrückung und Neid
  • Übersteigerte Ohnmachtsgefühle und Selbstbehauptung
  • Drangsalieren bis hin zum Missbrauch von älteren an jüngeren Geschwistern

Beeinflussende Faktoren

Grundsätzlich gibt es einige Faktoren, die die Geschwisterbeziehung beeinflussen können. Wichtige Aspekte in Bezug auf Geschwisterbindungen in Pflegefamilien sind:

  • Das Pflegeelternverhalten: Familienkultur, erzieherische Kompetenz und Wissen um die Herausforderungen des Pflegekindes
  • Strukturelle Variablen der Kinder: Altersabstände, Geschlecht
  • Persönlichkeitsstruktur der Kinder: Temperament, Fähigkeiten, Emotionalität
  • Förderung des Bindungsverhaltens der Kinder untereinander: Gemeinsame Aktivitäten, gezielte Unterstützung von Zweierbeziehungen, Üben von sozialem Verhalten

Außerdem kommt hinzu, dass Pflegekinder, die ab dem Kleinkindalter zu den Pflegeeltern kommen, mitunter bereits in ihrer Herkunftsfamilie Beziehungserfahrungen mit Geschwisterkindern gemacht haben, die die spätere Geschwisterbeziehung zu Pflegegeschwistern beeinflussen können.[1] Dass das Thema Geschwisterbeziehungen in vielen Pflegefamilien eine Rolle spielt, zeigen die entsprechenden Zahlen. Zugleich wirkt sich das Vorhandensein von Geschwistern auch auf das Zugehörigkeitsempfinden der Pflegekinder aus:

In mehr als der Hälfte der Pflegefamilien, nämlich 57%, leben Pflegekinder und leibliche bzw. adoptierte Kinder der Pflegeeltern. Bei Familien, die keine leiblichen oder adoptierten Kindern haben, haben 90% der Pflegekinder ein hohes Zugehörigkeitsempfinden zur Pflegefamilie (>8 auf einer Skala von 1-10). Bei Familien, in denen Pflegekinder mit leiblichen oder adoptierten Kindern der Pflegeeltern zusammenleben, haben nur 70-80% der Pflegekinder ein hohes Zugehörigkeitsempfinden zur Pflegefamilie, also einen Wert > 8 auf einer Skala von 1-10.[2]

[1] Freiburg, Annegret (2010): Geschwisterbeziehungen bei Pflegekindern. In: Braches-Chyrek, Rita; Macke, Kathrin; Wölfel, Ingrid (Hrsg.): Kindheit in Pflegefamilien. Schriftenreihe der Gilde Soziale Arbeit. Band 1. Opladen, Farmington Hills: Verlag Barbara Budrich. S. 92-106. S. 92, 94, 96, 98f, 103.

[2] Thrum, Kathrin (o. J.): Workshop. Geschwister in Herkunfts- und Pflegefamilien. URL: https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/pkh/Thrum_Geschwister.pdf (zuletzt aufgerufen am 4.12.2023).