Viele Menschen, die als Kind traumatisiert wurden, zeigen selbstverletzendes Verhalten in Form von sich selbst schlagen, Haare ausreißen oder sich schneiden (auch bekannt als „Ritzen“).[1] Laut einer Schulstichprobe in Deutschland zeigen sogar 25-35% aller Kinder und Jugendlichen mindesten einmal nicht-suizidales, selbstverletzendes Verhalten.[2] Gründe für selbstverletzendes Verhalten können vielfältig sein. Selbstverletzung kann bei den Betroffenen dazu dienen
- Schwierige Gefühle abschwächen, wie Wut, Angst, Trauer, sexuelle Erregung, Ohnmacht, Hilflosigkeit
- Kontrolle wiedererlangen
- Innere Leere oder Suizidalität unterbrechen
- Sich vor dem Hintergrund erlebter Traumata und Trigger nicht mehr im „Dort und Damals“, sondern im „Hier und Jetzt“ verorten und spüren
- Sich selbst bestrafen oder erhöhen, Selbstverletzung als Prozess der inneren Reinigung
- Stress, Spannung und Druck abbauen oder an Bezugspersonen abgeben, da diese oftmals selbst unter Stress, Spannung und Druck geraten
- Zuwendung durch Bezugspersonen erfahren, was zu sekundärem Krankheitsgewinn führt[3]
Unterstützung bei selbstverletzendem Verhalten
Das Empfinden von physischem Schmerz ist also der Versuch einer „Lösung“, um die Kontrolle wiederzuerlangen und sich wieder im Hier und Jetzt verorten und spüren zu können. Wichtig ist, dass Kinder und Jugendliche, die selbstverletzendes Verhalten zeigen, durch Beziehungserfahrungen lernen, dass es andere Formen gibt, mit überwältigenden Gefühlen umzugehen. Sie brauchen von den Bezugspersonen Schutz und Halt, am besten prompt in der Situation, in der die Gefühle, die reguliert werden sollen, auftreten. Eine solche direkte Reaktion ist oftmals nur in einem stationären psychotherapeutischen Setting möglich. Eine anschließende ambulante Psychotherapie, kann den jungen Menschen dabei unterstützen, einen Umgang mit Situationen zu finden, in welchen der Druck sich zu ritzen, zu stark wird.[4]
Dabei können sogenannte „Skills“ hilfreich sein. Das sind Hilfsmittel oder Fertigkeiten, die kurz- oder langfristig helfen, Anspannungszustände zu regulieren, mit starkem Stress umzugehen, oder aus der Dissoziation raus, wieder ins Hier und Jetzt zu kommen. Sie können zur Selbstberuhigung und Verminderung der Anspannung beitragen.[5] Eine empfehlenswerte Sammlung findet sich unter dem folgenden Link: https://s1346784cb819b28f.jimcontent.com/download/version/1672242383/module/12975350526/name/ukraine_handout_start_deutsch_03.2022.pdf
[1] Vgl. Korittko, Alexander (2015): „Wenn die Wunde verheilt ist, schmerzt die Narbe. Frühkindliche Traumatisierungen und die Folgen“. In: Hopp, Henrike; Hopp, Jens-Holger (Hrsg.): Moses Online Magazin März 2015, S. 7. URL: https://www.moses-online.de/sites/default/files/node/3313802/moses_online_magazin_1503.pdf (zuletzt aufgerufen am 21.6.2022).
[2] Vgl. Plener, Paul L.; Kaess, Michael; Schmahl, Christian; Pollak, Stefan; Fegert, Jörg M.; Brown, Rebecca C. (2018): Nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten im Jugendalter. URL: https://www.aerzteblatt.de/archiv/195721/Nichtsuizidales-selbstverletzendes-Verhalten-im-Jugendalter (zuletzt aufgerufen am 7.9.2023).
[3] Vgl. Resch, Franz (2009): Selbstverletzendes Verhalten. In: Hopf, Hans; Windaus, Eberhard (Hrsg.): Lehrbuch der Psychotherapie für die Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und für die ärztliche Weiterbildung. Band 5: Psychoanalytische und tiefenpsychologisch fundierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. München: CIP Medien, S. 307.
[4] Vgl. Brisch, Karl Heinz (2019): Pubertät. Bindungspsychotherapie – Bindungsbasierte Beratung und Psychotherapie. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 176ff.
[5] Vgl. Dixius, Andrea; Möhler, Eva (2022): START & START-Kids. Hilfreiche Tipps und Skills. Umgang mit Stress, Gefühlsregulation zur Stabilisierung bei (traumatischen) Belastungen. URL: https://s1346784cb819b28f.jimcontent.com/download/version/1672242383/module/12975350526/name/ukraine_handout_start_deutsch_03.2022.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.03.2023), S. 1ff.