Stress kennen eigentlich alle Menschen. Stressempfinden setzt dann ein, wenn Personen zu schnellen, zu intensiven oder zu vielen Anforderungen ausgesetzt sind, sodass sie für kurze Zeit nicht mehr angemessen reagieren und funktionieren können. Das gehört grundsätzlich zum Leben dazu und die meisten Menschen können sich nach einem Moment großer Anspannung wieder entspannen, indem sie ihre Handlungsfähigkeit wiedererlangen und sich so verhalten, dass Sie die Herausforderung meistern können.

Anders ist es bei traumatischem Stress. Hier erleben die Betroffenen eine subjektiv empfundene Bedrohung oder Lebensgefahr. Es kommt zu einer Überflutung mit Angst- und Ohnmachtsgefühlen und dem Gefühl, der Bedrohung schutzlos ausgeliefert zu sein.

Zu den Erfahrungen, die Kinder in solche Stresssituationen bringen, zählen

  • Frühe Verluste von Bindungspersonen
  • Suchterkrankungen oder psychiatrische Erkrankungen der Eltern oder Bezugspersonen
  • Wiederholte Demütigungen und Entwertungen
  • Körperliche und sexuelle Gewalt
  • Vernachlässigung
  • Miterleben von Gewalt an engen Bezugspersonen oder geliebten Tieren sowie die
  • Betreuung durch Bezugspersonen, die durch eigene Erfahrungen in Übererregung oder Dissoziation geraten. Dissoziation meint eine Abspaltung von körperlichen oder seelischen Schmerzen, damit sie nicht mehr erlebt werden müssen.

Frühkindliche Erfahrungen, die nicht bewältigbaren Stress auslösen, wirken sich bis ins Erwachsenenalter auf die seelische und körperliche Gesundheit aus und können langfristig sogar das Immunsystem schädigen.[1]

Was passiert bei traumatischem Stress?

Wenn die normalen Anpassungsleistungen nicht mehr ausreichen, ein Mensch also lebensbedrohlichen Stress erlebt, stehen ihm unterschiedliche Mechanismen zur Verfügung, die automatisch ablaufen.

Zunächst springt das Bindungssystem an, die Person sucht also, zum Beispiel durch Schreien, nach Hilfe. Wenn diese Hilferufe unbeantwortet bleiben, folgen in der Regel Flucht oder Kampf. An beiden Reaktionen sind vor allem die körpereigenen Hormone Noradrenalin und Adrenalin beteiligt. Der gesamte Körper befindet sich in einem Erregungszustand, ist hochaktiv und wird vom Nervensystem des Sympathikus gesteuert. Das ist an folgenden körperlichen Reaktionen erkennbar:

  • Deutlich erhöhter Herzschlag
  • Rötung im Gesicht
  • Erweiterte Pupillen
  • Zittern
  • Schweißbildung
  • Schneller Atem
  • Erhöhter Muskeltonus

Wenn Kampf oder Flucht keine Möglichkeiten sind, folgt die Erstarrung. Die hohe Erregung im Körper hält zunächst an. Auch wenn die Bedrohung weiterhin vorhanden ist, sinkt die Erregung jedoch nach einer Weile von allein immer weiter ab, bis schließlich das Nervensystem des Parasympathikus übernimmt und schließlich eine Art Erschlaffung eintritt.[2]

Traumatisierung

Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen geht eine Traumatisierung mit einem vorübergehenden Mangel an elterlichem Schutz bzw. dem Schutz durch Bezugspersonen einher. Hierbei, wie auch bei einer Traumatisierung, die durch ein Naturereignis geschieht, wird die Beziehung des Kindes zu seinen sogenannten Primärobjekten, das heißt zu seiner vertrauten und schutzgebenden Umgebung erschüttert.

Da das kindliche Gehirn erst zu einem gewissen Grad ausgereift ist und noch keine klare Trennung zwischen Ich und Welt, zwischen Innenraum und äußerer Umgebung besteht, müssen bei einer frühen Traumatisierung nicht nur der traumatische Moment an sich, sondern in besonderem Maße die Umgebungsfaktoren betrachtet werden.

Folgende Fragen sind hierfür wichtig:

  • Wie war das Bindungsgefüge des Kindes in diesem Moment?
  • Befand sich das Kind in einer grundsätzlich stabilen Situation?
  • Wie war die Situation, als das Ereignis eintraf und wie wurde im Nachhinein damit umgegangen?

All diese Aspekte leisten einen entscheidenden Beitrag dazu, ob eine potenziell traumatische Situation tatsächlich zu einer Traumatisierung führt.[3]

[1] Alexander Korittko (2015): „Wenn die Wunde verheilt ist, schmerzt die Narbe. Frühkindliche Traumatisierungen und die Folgen“. In: Hopp, Henrike; Hopp, Jens-Holger (Hrsg.): Moses Online Magazin März 2015, S. 3. URL: https://www.moses-online.de/sites/default/files/node/3313802/moses_online_magazin_1503.pdf (zuletzt aufgerufen am 21.6.2022).

[2] Alexander Korittko (2015): „Wenn die Wunde verheilt ist, schmerzt die Narbe. Frühkindliche Traumatisierungen und die Folgen“. In: Hopp, Henrike; Hopp, Jens-Holger (Hrsg.): Moses Online Magazin März 2015, S. 3. URL: https://www.moses-online.de/sites/default/files/node/3313802/moses_online_magazin_1503.pdf (zuletzt aufgerufen am 21.6.2022).

[3] Vgl. Winkelmann, Klaus (2009): Posttraumatische und akute Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen. In: Hopf, Hans; Windaus, Eberhard (Hrsg.): Lehrbuch der Psychotherapie für die Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und für die ärztliche Weiterbildung. Band 5: Psychoanalytische und tiefenpsychologisch fundierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. München: CIP Medien, S. 443.