Kinder mit desorganisiertem Bindungsverhalten zeigen kein durchgehendes Verhaltensmuster. Es kann beobachtet werden, dass desorganisiert gebundene Kinder plötzlich erstarren sich rückwärts der Bezugsperson annähern, das Gesicht verdecken, wenn sich die Bezugsperson nähert oder Nähe bei fremden Personen suchen. Es wird sichtbar, dass diese Kinder keine klaren Strategien haben, um sich zu schützen. Häufig haben diese Kinder erfahren, dass von der Bezugsperson selbst Gefahr ausgeht.[1]

Desorganisiert gebundenen Kindern gegenüber ist es wichtig, immer wieder Beziehungsangebote zu machen und die Zuwendung zu diesen Kindern in vielen kleinen Gesten auszudrücken. Auch auf Zurückweisung von Kindern sollten Bindungspersonen immer wieder liebevoll reagieren und ganz bewusst nicht mit Belohnung und Bestrafung arbeiten. Wichtig ist es, Kindern mit desorganisiertem Bindungsmuster nachvollziehbare Grenzen zu setzen. Wenn sie z.B. etwas von anderen Kindern zerstört haben, brauchen sie Hilfe bei der Wiedergutmachung.

Besonders zentral ist, das mitunter herausfordernde Verhalten des Kindes zu kommentieren, nicht aber das Kind als Mensch an sich. Insbesondere für diesen Bindungstyp kann eine Ursache in der „Traumatisierung der zweiten Generation“ liegen. Das bedeutet, dass Eltern hilflos und bedrohlich auf Verhalten ihrer Kinder reagieren, das sie selbst einmal als Kind gezeigt haben und dafür bestraft wurden. Bei Kindern mit desorganisiertem Bindungsverhalten ist das Risiko einer psychopathologischen Entwicklung des Kindes erhöht. Oft zeigen sie sich ab dem Jugendalter aggressiv oder dissoziativ.[2]

Desorganisierte Bindung und Pubertät

Jugendliche mit einem desorganisierten Bindungsmuster wirken unberechenbar und können ihre Affekte oft nur schwer steuern. Von Gruppen oder der Klassengemeinschaft werden sie als bedrohlich erlebt, weil sie sich aggressiv verhalten, andere mobben, ausrasten oder andere verletzen. Sie neigen dazu, Lehrpersonen oder Bindungspersonen zu provozieren oder aber abzuschalten und kaum noch zu reagieren. Die Jugendlichen stehen unter großem Stress und können sich selbst kaum beruhigen oder steuern. Es ist davon auszugehen, dass diese Jugendlichen im Laufe ihrer Entwicklung ganz unterschiedliche Bindungsmuster ausgebildet haben und in einer bindungsrelevanten Situation nun ganz unterschiedlich reagieren, je nachdem, welches Muster gerade aktiviert wird.

Die Reaktionen von Bindungspersonen sind aufgrund derer Überforderung oft emotional gewaltvoll und hoch ambivalent. Während der oder die Jugendliche in einem Moment getröstet wird, führt Überforderung im nächsten Moment dazu, dass ihm gedroht wird. Die Bindungsperson wird hierdurch unsicher und der Stress steigt, da kein sicherer Hafen zur Verfügung steht. Jugendliche mit einem desorganisierten Bindungsmuster wissen oft weder vor noch zurück. Aufgrund des unintegrierten Verhaltens besteht bei ihnen die Gefahr, eine Persönlichkeitsstörung in Form einer Borderline-Persönlichkeitsstörung zu entwickeln.[3]

 

[1] Vgl. Nowacki, Katja; Remiorz, Silke (2018): Bindung bei Pflegekindern. Bedeutung, Entwicklung und Förderung. Stuttgart: Kohlhammer, S. 83.

[2] Vgl. Nowacki, Katja; Remiorz, Silke (2018): Bindung bei Pflegekindern. Bedeutung, Entwicklung und Förderung. Stuttgart: Kohlhammer, S. 83.

[3] Brisch, Karl Heinz (2019): Pubertät. Bindungspsychotherapie – Bindungsbasierte Beratung und Psychotherapie. Stuttgart: Klett-Cotta. S. 64-66.