Die Psychologin Monika Nienstedt und der Psychologe Arnim Westermann konnten in ihrer jahrzehntelangen Arbeit mit Pflegefamilien feststellen, dass der Integrationsprozess des Kindes in die Pflegefamilie oftmals in drei charakteristischen, mehr oder weniger deutlich voneinander zu unterscheidenden Phasen verläuft. Hieraus entwickelten sie eine sogenannte Integrationstheorie, die sich in drei Phasen gliedert: Anpassung, Übertragung und Regression.[1]  Während Pflegeeltern auf der einen Seite in jeder dieser Phasen zu einem gelingenden Prozess beitragen können, können Pflegeverhältnisse auf der anderen Seite in jeder der drei Phasen scheitern. Jede Phase stellt spezifische Anforderungen an Pflegeeltern.[2]

Anpassungsphase

Direkt nach der Aufnahme des Kindes startet die sensibelste Phase, in der die Grundlagen des Pflegeverhältnisses gelegt werden. Das Ziel, in eine neue Familie integriert zu werden, bedeutet für ein Pflegekind zunächst eine enorme Herausforderung. Der junge Mensch muss seine Rolle in der neuen Familie erst finden, sich an neue Anforderungen anpassen und mit den Differenzen, die sich zu seinem vorherigen Lebensalltag auftun, einen Umgang finden.[3]

Die häufige Überanpassung des Kindes dient unbewusst dazu, Unsicherheiten und Ängste, die mit der massiven Veränderung einhergehen, zu kontrollieren. Viele Pflegekinder vermeiden auftauchende Konflikte und passen sich vollständig an die Pflegeeltern an. Dabei nehmen sie oftmals die Wahrnehmung der eigenen Wünsche und Bedürfnisse zurück und versuchen, den Wünschen der Pflegeeltern zu entsprechen.[4]

In der Anpassungsphase unterstützen

Hauptsächliches Ziel der Unterstützung durch die Pflegeeltern sollte in dieser Phase sein, dass sich das Kind in seiner doppelten Rolle als Kind seiner Herkunftseltern und der Pflegeeltern wiederfinden und zugehörig fühlen kann. Insbesondere bei Kindern, die sich zunächst überangepasst und unkompliziert zeigen ist es wichtig, immer wieder zu signalisieren, dass jedes Empfinden erst einmal willkommen und in Ordnung ist. Selbstverständliche Abläufe im Familiengeschehen sollten erklärt und transparent gemacht werden, sodass der junge Mensch sich darin zunehmend sicher fühlt.[5] Zentral ist es in dieser Phase, eine liebevolle Eltern-Kind-Beziehung aufzubauen und sich von den Wünschen und Bedürfnissen des Kindes leiten zu lassen. „Normale“ Erziehung sollte erst einmal hintenanstehen und kann später erfolgen, wenn eine vertrauensvolle Basis geschaffen ist, die dem Kind die korrigierende Erfahrung ermöglicht, genau so wie es ist angenommen und geliebt zu sein.[6]

Gefahr des Scheiterns in der Anpassungsphase

In der sensiblen Anpassungsphase sind Pflegeeltern besonders gefragt. Eine Gefahr liegt zum Beispiel darin, dass die Pflegeeltern dem Kind übertriebene Anpassungsleistungen abverlangen, das Kind innerlich in die Abwehr geht und somit keine korrigierenden Erfahrungen und kein stabiler Beziehungsaufbau möglich sind. Erzieherische und therapeutische Maßnahmen, die gut gemeint sind, nehmen vorweg, schon zu wissen, was gut für das Kind ist und wo es gefördert werden sollte. Das Kind kann jedoch auf diese Weise erneut die Erfahrung machen, nicht gut zu sein, wie es ist.[7]

Außerdem kann es passieren, dass Eltern versuchen, das gut funktionierende Kind in der Überanpassung zu halten, wodurch die Entwicklung einer eigenen authentischen Beziehung zu den Pflegeeltern erschwert ist. Dadurch bleibt es in seiner alten Familienidentität verhaftet. Wenn das Kind jedoch beginnt, seine Überanpassung aufzugeben, kann es passieren, dass Pflegeeltern versuchen, das Kind mit Druck in der Überanpassung zu halten. Es soll dann weiterhin so lieb, brav und dankbar sein wie am Anfang. Oftmals reagieren Pflegeeltern auf das neue Verhalten des Kindes mit Enttäuschung und zeigen verstärkte und spannungsreiche Erziehungsbemühungen. Demnach ist es also insbesondere bei Kindern, die sich zunächst überangepasst und unkompliziert zeigen wichtig, immer wieder zu signalisieren, dass jedes Empfinden erst einmal willkommen und in Ordnung ist.[8]

 

[1] Vgl. Niestroj, Hildegard (o.J.): Hilfen im Umgang mit traumatisierten Kindern. URL: https://docplayer.org/33910142-Hilfen-im-umgang-mit-traumatisierten-kindern.html (zuletzt aufgerufen am 10.1.2023), S. 5.

[2] Vgl. Nienstedt, Monika; Westermann, Armin (2007): Pflegekinder und ihre Entwicklungschancen nach frühen traumatischen Erfahrungen. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 379f.

[3] Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter (2022): Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Strukturen, Verfahren und pädagogischen Prozessen in der Pflegekinderhilfe (Teil I und II). URL: http://www.bagljae.de/assets/downloads/158_empfehlungen-pkh-end-01-12-2022.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.1.2023), S. 32f.

[4] Vgl. Niestroj, Hildegard (o.J.): Hilfen im Umgang mit traumatisierten Kindern. URL: https://docplayer.org/33910142-Hilfen-im-umgang-mit-traumatisierten-kindern.html (zuletzt aufgerufen am 10.1.2023), S. 5.

[5] Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter (2011): Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Strukturen, Verfahren und pädagogischen Prozessen in der Pflegekinderhilfe (Teil I und II). URL: http://www.bagljae.de/assets/downloads/158_empfehlungen-pkh-end-01-12-2022.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.1.2023), S. 33.

[6] Vgl. Niestroj, Hildegard (o.J.): Hilfen im Umgang mit traumatisierten Kindern. URL: https://docplayer.org/33910142-Hilfen-im-umgang-mit-traumatisierten-kindern.html (zuletzt aufgerufen am 10.1.2023), S. 5.

[7] Vgl. Niestroj, Hildegard (o.J.): Hilfen im Umgang mit traumatisierten Kindern. URL: https://docplayer.org/33910142-Hilfen-im-umgang-mit-traumatisierten-kindern.html (zuletzt aufgerufen am 10.1.2023), S. 5.

[8] Vgl. Nienstedt, Monika; Westermann, Armin (2007): Pflegekinder und ihre Entwicklungschancen nach frühen traumatischen Erfahrungen. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 379f.