Eine traumasensible Pädagogik kann dazu beitragen, dass das Gehirn neue Erfahrungen macht und neue Muster prägt. Hierzu gehören vor allem ein wachsendes Vertrauen in die eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten und das Vertrauen in andere Menschen, insbesondere Bindungspersonen. Unterstützende und stabile Bindungserfahrungen führen dazu, dass die Notfallreaktionen seltener ausgelöst werden müssen. Die Fähigkeit zur Selbstregulation erweitert sich, und damit das „Fenster der Toleranz“.
Das Fenster der Toleranz
Hierunter versteht man den erlebten Spielraum, der es ermöglicht, auf Reize zu reagieren und sich wieder zu beruhigen. Bei kleinen Kindern ist dieses Fenster noch sehr klein. Auf Bedürfnisse wie Hunger, Durst oder Langeweile sollten Bezugspersonen prompt und angemessen reagieren. Werden die Bedürfnisse des Kindes zuverlässig erfüllt, erweitert und stabilisiert sich das Toleranzfenster allmählich. Es fällt dem Kind immer leichter, sich selbst zu regulieren und sich in einer Wartezeit selbst zu beruhigen. Eine Notfallreaktion wird nicht oder erst sehr viel später aktiviert.[1]
Auch der Ansatz der traumasensiblen Pädagogik formuliert Prinzipien für den Umgang mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen. Als förderlich werden hier folgende Faktoren benannt:
- Einen dauerhaft sicheren Platz zur Verfügung stellen, der von dem Kind mitgestaltet werden kann und der Rückzugsmöglichkeiten bietet.
- Positive Lernerfahrungen bieten, die ein Gefühl der Kontrolle vermitteln. Ganz praktisch können den Kindern Materialien (Ton, Holzklötze etc.) als Spielmaterialien zur Verfügung gestellt werden, die für das Kind kontrollierbar und beherrschbar sind.
- Sicherheit durch einen wiederkehrenden, erwartbaren Tagesablauf sowie klare und bekannte Regeln und Konsequenzen, sodass die erwachsenen Personen und Situationen für das Kind berechenbar sind.
- Bei Gesprächen über die erlittenen Traumata sollte das Kind die Inhalte und das Tempo bestimmen, um Gefühle von Scham, Schutzlosigkeit und Trigger zu vermeiden.
- Menschen, die häufig Grenzverletzungen erlebt haben, benötigen möglicherweise körperliche Distanz, um sich in Alltagsbeziehungen sicher zu fühlen. Dieses Bedürfnis sollte berücksichtigt werden.
- Insbesondere im schulischen Kontext sollten Erfolge stets individuell bemessen und wertgeschätzt werden. Die Vermeidung von Hausaufgaben oder schulischen Leistungen kann ein Ausdruck von Hilflosigkeit sein.[2]
[1] Jens-Holger Hopp GbR (Hrsg.): Moses Online Magazin März 2015, S. 9. URL: https://www.moses-online.de/sites/default/files/node/3313802/moses_online_magazin_1503.pdf (zuletzt aufgerufen am 21.6.2022).
[2] Alexander Korittko (2015): „Wenn die Wunde verheilt ist, schmerzt die Narbe. Frühkindliche Traumatisierungen und die Folgen“. In: Hopp, Henrike; Hopp, Jens-Holger (Hrsg.): Moses Online Magazin März 2015, S. 8. URL: https://www.moses-online.de/sites/default/files/node/3313802/moses_online_magazin_1503.pdf (zuletzt aufgerufen am 21.6.2022).