In der traumatisierenden Situation wird ein Bereich des Großhirns, der für eine bewusste Steuerung des Verhaltens und die sprachliche Verarbeitung zuständig ist, schrittweise abgeschaltet. Stattdessen übernehmen nun die sogenannten Mandelkerne (Amygdala) die Steuerung. Sie sind Teil des limbischen Systems. Dieser Teil des Gehirns ist viel älter und arbeitet ohne Sprache und rationale Handlungssteuerung. Auf diese Weise werden in der Phase der Erstarrung oft nur einzelne Geräusche, Bilder, Körpergefühle oder Gerüche als Erinnerung abgespeichert. Weil die Speicherung dieser Erlebnisse jedoch in einer existenziellen Situation geschieht, werden sie als Trauma-Fragment sehr intensiv erinnert.
Das führt dazu, dass noch viele Jahre nach dem Erlebnis, Bilder, Geräusche, Berührungen oder Gerüche, die damals abgespeichert wurden, an die Notsituation erinnern („Trigger“). Gleichzeitig hat das Gehirn gelernt, dass die traumatische Situation, in der zum Beispiel ein bestimmtes Bild gespeichert wurde, lebensbedrohlich war und nicht gemeistert werden konnte. In der Wahrnehmung der traumatisierten Person ist die Gefahr also nicht bewältigt und abgeschlossen, sondern passiert immer wieder neu, wenn die Person einem Trigger begegnet oder daran denkt.
Für Betroffene kann sich so ein Moment also innerlich genauso lebensbedrohlich anfühlen wie damals, als die Traumatisierung erfolgte.[1]
[1] Alexander Korittko (2015): „Wenn die Wunde verheilt ist, schmerzt die Narbe. Frühkindliche Traumatisierungen und die Folgen“. In: Hopp, Henrike; Hopp, Jens-Holger (Hrsg.): Moses Online Magazin März 2015, S. 4. URL: https://www.moses-online.de/sites/default/files/node/3313802/moses_online_magazin_1503.pdf (zuletzt aufgerufen am 21.6.2022).