Abbrüche werden definiert als von fachlicher Seite nicht beabsichtigte und vorzeitige Beendigungen von Pflegeverhältnissen, die nur kurzfristig vorbereitet werden können. Manchmal wird in der Literatur hierbei unterschieden, ob es sich um eine Herausnahme, also eine Beendigung auf Initiative des Jugendamts, einen Weggang, das heißt, das Pflegekind weigert sich, weiterhin bei den Pflegeeltern zu bleiben, oder um eine Rückgabe handelt, also die Beendigung durch die Pflegeeltern aufgrund von Überforderung. Über die tatsächlichen Abbrüche von Pflegeverhältnissen liegen aktuell keine genauen Zahlen vor.
Bei den betroffenen Pflegefamilien handelt es sich mehrheitlich um unerfahrenere Pflegeeltern. Die Pflegekinder hatten zumeist schon mehrere Wechsel ihres Lebensmittelpunkts hinter sich. Meist sind Kinder im mittleren Kindesalter oder Jugendliche betroffen. Zudem ist ein Abbruch nach einer kurzen Verweildauer in der Pflegefamilie sehr viel wahrscheinlicher, als wenn eine Beziehung bereits über Jahre gewachsen ist.
Da Abbrüche zu einem erheblichen Einschnitt im Lebenslauf von Pflegekindern führen, beschäftigten sich Studien immer wieder damit, was zu einem Abbruch führt und wie ein solcher verhindert werden kann. Deutlich wurde, dass Abbrüche maßgeblich vom Ausmaß kindlicher Verhaltensauffälligkeiten abhängen. Wesentliche Schutzfaktoren sind hingegen eine hohe Beziehungs- und Erziehungsfähigkeit der Pflegeeltern sowie deren fachliche und soziale Unterstützung. Auch wenn das Kind hohe Verhaltensauffälligkeiten zeigt, schützt eine positive Integration in die Pflegefamilie davor, dass sich Konflikte zuspitzen oder es zum Abbruch kommt. Kaum einen Einfluss haben dagegen Hintergrundfaktoren des Pflegekindes, wie z. B. Alter, Geschlecht oder bekannt gewordene Belastungen und Gefährdungen. Für alle Betroffenen stellen Abbrüche in der Regel emotional intensive Ereignisse dar. Das bedeutet, dass alle Beteiligten nach einem Abbruch Zeit und Raum brauchen, die Erfahrungen zu verarbeiten und zu integrieren.[1]
Abbrüche aus Kindesperspektive
Aus der Perspektive vieler betroffenen Kinder und Jugendlichen sind Abbrüche von Pflegeverhältnissen kein plötzliches Geschehen, sondern häufig schon in ihre Geschichte vor der Inpflegegabe, in ihre Hoffnungen und Wünsche als Möglichkeit eingebunden. Viele von ihnen berichten, dass sie sich von Anfang an in der Familie nicht willkommen oder nicht wohl fühlten und sich irgendwann ausgeschlossen fühlten.
Da viele Kinder in ihrer Herkunftsfamilie erlebt haben, dass diese nicht der gängigen Vorstellung von Familie entspricht, wünschen sie sich diese Art der Normalität umso mehr bei ihrem Eintritt in die Pflegefamilie. Von dem, was eine normale Familie bedeutet, haben die meisten Pflegekinder eine sehr genaue Vorstellung. Für sie bedeutet eine richtige und normale Familie z. B., dass die Pflegemutter für sie da ist, zugewandt ist und sich hinter das Kind stellt. Die meisten von ihnen wünschen sich, ganz normaler Teil der Familie zu werden, was jedoch nicht gelichzeitig bedeutet, dass sie sich ihrer Herkunftsfamilie weniger zugehörig fühlen. Tatsächlich werden die meisten Vorstellungen von Pflegekindern enttäuscht, was auch damit zu tun hat, dass es für die meisten von ihnen zu herausfordernd war, ihre Bedürfnisse und Vorstellungen zu kommunizieren. Gleichzeitig regieren viele Pflegekinder sehr sensibel, wenn ihren Vorstellungen von Normalität und Zugehörigkeit im Alltag nicht entsprochen wird. Solche, oftmals keinen Erfahrungen, können sehr schmerzhaft sein.
Ein Bruch mit diesen Vorstellungen kann z. B. schon sein, dass ein Kind, dessen leibliche Mutter ihm jeden Morgen die Haare frisiert hat, es als Desinteresse der Pflegemutter wertet, wenn diese das nicht auch tut. Für die räumliche Verortung und das Ankommen spielt das eigene Zimmer eine große Rolle. Kinder und Jugendliche, die die Erfahrung machen mussten, dieses wieder abgeben zu müssen, z. B. weil das ältere leibliche Kind der Familie doch wieder einzog, können dies als starke Zurückweisung erleben.[2]
Strategien von Pflegekindern
Pflegekinder nutzen unterschiedliche Strategien, um mit schwierigen, möglicherweise eskalierenden Prozessen in der Pflegefamilie umzugehen. Manche Pflegekinder fühlen sich aufgrund ihrer Erfahrungen machtlos oder nicht ernst genommen. Während die einen dann auf verbaler und körperlicher Ebene gewaltvoll gegen Pflegeeltern und Geschwister vorgehen, ziehen sich die anderen zurück, vermeiden Konflikte und suchen vermehrt Nähe zu ihrem Freundeskreis. Das Gefühl, nicht dazuzugehören und in der Pflegefamilie einsam zu sein, kann sich auf diese Weise noch verstärken.
Besonders kritisch ist es, wenn neue Pflegekinder in die Familie aufgenommen werden. Pflegekinder, die schon länger Teil der Familie sind, fühlen sich dann oft nicht mehr gewollt oder herausgedrängt. Nicht selten werden sie auf eigene Faust abgängig oder wollen letztlich die Familie verlassen. Vielen Pflegekindern fällt es sehr schwer zu verbalisieren, was genau sie sich anders wünschen. Wichtige unterstützende Bezugspersonen sind in solchen Fällen Lehrkräfte, Vormundinnen und Vormünder oder befreundete Personen. Viele Pflegekinder erleben es zudem als hilfreich, wenn die Pflegeeltern es ihnen ermöglichen, mit einer neutralen Person unter Verschwiegenheit sprechen zu könne, z. B. während einer Therapie.
Laut einer Studie ist die Gefahr relativ groß, dass der Abbruch für Pflegekinder mit einem Verlust an Selbstvertrauen und Selbstwert einhergeht. Für einige nimmt damit eine Dynamik ihren Gang, den sie als lebenslange Abwärtsspirale beschreiben, und die eng mit dem Gefühl verknüpft ist, die Schuld für den Abbruch zu tragen. Das kann problematisch für die Entwicklung einer positiven Identität sein, insbesondere wenn die Pflegefamilie als sehr nahestehend und liebenswert erlebt wurde.[3]
Abbrüche aus Elternperspektive
Auch für viele Pflegeeltern ist es schwierig, mit dem Abbruch umzugehen. Obwohl im Vorfeld so viel arrangiert wurde und die jeweiligen Pflegeeltern sehr bemüht waren, gute Eltern und eine Familie zu sein, wird bei Abbrüchen besonders deutlich, wie verletzbar, fragil und wechselhaft eine Pflegeelternschaft sein kann. Eine Pflegeelternschaft kann mit vielen Belastungen einhergehen, wie:
- schwierige Balance von Nähe und Distanz
- herausfordernde Verhaltensweisen des Pflegekindes
- Verletzung meiner Gefühle durch das Pflegekind
- enttäuschte Erwartungen
- Einmischung von außen
Bei einem Abbruch kommen meistens mehrere Aspekte zusammen. Hierbei können Veränderung im Familiensystem, Krankheiten bei Familienangehörigen, zu starke Arbeitsbelastung bei den Pflegeeltern und die Sorge, dass leibliche Kinder zu kurz kommen, eine Rolle spielen. Auf Seiten des Pflegekindes kann es passieren, dass sich das Kind von Beginn an schwer tut sich einzuleben und an die Regeln der Familie zu halten. Obwohl die Gründe höchst individuell und komplex sind, kann es geschehen, dass sich Pflegeeltern im Falle eines Abbruchs, wie Versager fühlen, an sich zweifeln und sich Vorwürfe machen. Sie haben das Gefühl, dass ihr Selbstbild als Eltern in Frage gestellt wird. Gleichzeitig kann ein Gefühl der Entlastung auftauchen und die Hoffnung, bald wieder ein positives Elternselbstbild zu entwickeln. Auf jeden Fall muss sich die Familie damit auseinandersetzen, was alles passiert ist und sich als Familie neu finden. Die Eltern, aber auch verbleibende Kinder müssen die Abbrucherfahrung in ihre Biographie und ihr Selbstbild integrieren.[4]
Nach dem Abbruch
Wie es nach dem Abbruch von Pflegeverhältnissen weitergeht und ob weiterhin Kontakt besteht, kann sehr unterschiedlich sein und hängt mit dem Grund, der zu dem Abbruch geführt hat, zusammen. Kinder, die z. B. nur mit einem Elternteil (z. B. dem neuen Freund der Pflegemutter) Probleme haben, halten oftmals noch den Kontakt zu dem anderen Pflegeelternteil. Auch die Beziehung zu Pflegegeschwistern kann bestehen bleiben.
Manchmal kann die räumliche Trennung auch zu mehr Nähe führen. Manchmal bleibt für Pflegekinder aber auch nur der vollkommene Kontaktabbruch, um sich selbst zu schützen. Entscheidend bei alldem ist, dass es sowohl den Pflegekindern als auch den Pflegeeltern gelingt, den Abbruch des Pflegeverhältnisses in ihre Biographie und ihr Selbstbild zu integrieren. Darum, wie es auch in sehr herausfordernden Zeiten gelingen kann, die Beziehung zu den Pflegekindern aufrecht zu erhalten, geht es in der Folge „Beziehungen zu Pflegekindern erhalten“ des Podcast Pflegefamilien Deutschland, unter https://www.pflegefamilien-deutschland.de/episode/beziehungen-zu-pflegekindern-erhalten, die wir Ihnen an dieser Stelle empfehlen möchten.[5]
Quellen
[1] Kindler, Heinz (2010): Perspektivklärung und Vermeidung von Abbrüchen von Pflegeverhältnissen. In: Kindler, Heinz; Helming, Elisabeth; Meysen, Thomas; Jurczyk, Karin (Hrsg.): Handbuch Pflegekinderhilfe. München: Deutsches Jugendinstitut e.V. S. 344-375. S. 367-374.
[2] Bombach, Clara; Reimer, Daniela (2021): Kinderperspektiven auf Abbruchprozesse in der Pflegekinderhilfe. Chancen und Belastungen, Bewältigungsstrategien und Handlungsbedarfe für die Praxis. In: Gabriel, Thomas; Stohler, Renate (Hrsg.): Abbrüche von Pflegeverhältnissen im Kindes- und Jugendalter. Perspektiven und Herausforderungen für die soziale Arbeit. Weinheim, Basel: Beltz Juventa. S. 138-169. S. 143-146.
[3] Ebd., S. 149-154, 156.
[4] Reimer, Daniela (2021): Abbruchprozesse: Die Perspektive der Pflegeeltern. In: Gabriel, Thomas; Stohler, Renate (Hrsg.): Abbrüche von Pflegeverhältnissen im Kindes- und Jugendalter. Perspektiven und Herausforderungen für die soziale Arbeit. Weinheim, Basel: Beltz Juventa. S. 170-191. S. 170-173f, 185-188.
[5] Bombach, Clara; Reimer, Daniela (2021): Kinderperspektiven auf Abbruchprozesse in der Pflegekinderhilfe. Chancen und Belastungen, Bewältigungsstrategien und Handlungsbedarfe für die Praxis. In: Gabriel, Thomas; Stohler, Renate (Hrsg.): Abbrüche von Pflegeverhältnissen im Kindes- und Jugendalter. Perspektiven und Herausforderungen für die soziale Arbeit. Weinheim, Basel: Beltz Juventa. S. 138-169. S. 156, 160f.